Standardessenzielle Patente, kurz SEPs, sind für die Umsetzung bestimmter Technologiestandards in Produkten wie Smartphones und Fahrzeugen unerlässlich. Die Inhaber von SEPs sind verpflichtet, Lizenzen zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden (sog. „FRAND“) Bedingungen zu erteilen. Da ist es nicht gerade überraschend, dass es seit Jahren trotzdem häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Lizenzierungspflicht und vor allem über die Bedingungen, also die Höhe der Lizenzgebühren, kommt und seit Jahren nach einem goldenen Mittelweg zur einvernehmlichen und zufriedenstellenden Lösung für beide Seiten, also Lizenzgeber und -nehmer, gesucht wird.
Bereits 2022 gab es den Vorschlag der Bildung sogenannter LNGs, Licensing Negotiating Groups, die als eine Art genossenschaftliche Einkaufsgruppe für Lizenzen von SEPs gesehen werden können, um die Lizenzverhandlungen effizienter zu gestalten, indem sie die Zahl der notwendigen Verhandlungen reduzieren und somit Transaktionskosten senken können.
Nachdem die Europäische Kommission den Vorschlag dieser LNGs grundsätzlich als einen möglichen Weg bejaht und entsprechende Leitlinien hierfür erlassen hatte, hat das Bundeskartellamt (BKartA) mittlerweile ganz konkret die Gründung der ‚Automotive Licensing Negotiation Group‘ (ALNG) offiziell akzeptiert. Bei der ALNG handelt es sich um eine Kooperationsinitiative von BMW, Mercedes-Benz, Thyssenkrupp und VW. Sie soll es den beteiligten Unternehmen ermöglichen, gemeinsam Lizenzen für standardessentielle Patente (SEP) zu verhandeln, die für die Implementierung von Technologien wie 4G oder 5G in Fahrzeugen erforderlich sind.
Das BKartA kam nach Prüfung des Vorschlags gemäß §§ 1, 2 GWB i.V.m. § 32c(2) GWB, sowie Artikel 101 TFEU zu diesem Ergebnis. Andreas Mundt, der Präsident des BKartA, betonte, dass die Kooperation kartellrechtlich Neuland betritt und dass die Tolerierung der ALNG unter folgenden Bedingungen erfolgt (siehe Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 10.06.24):
Die Etablierung von Licensing Negotiation Groups (LNGs) wie der ALNG ist eine relativ neue Entwicklung im Markt. Während die ALNG die Vorteile einer solchen Kooperation hervorhebt, äußern Lizenzgeber Bedenken, dass solche Gruppen die Verhandlungsmacht zu ihren Ungunsten verschieben könnten. Das BKartA hat jedoch entschieden, dass die ALNG in ihrer geplanten Form keine durchgreifenden kartellrechtlichen Bedenken aufwirft, solange die festgelegten Rahmenbedingungen eingehalten werden.
Bislang scheint die ALNG die einzige „Einkaufsgemeinschaft“ für FRAND Lizenzen zu sein. Für die Zukunft könnten sich jedoch auch kleinere KMUs zu solchen LNGs zusammenschließen, um kosteneffizienter günstigere FRAND-Lizenzierungen mit den SEP-Inhabern oder SEP-Pools zu verhandeln, nicht nur im 4G/5G/6G Bereich, sondern in allen Bereichen, in denen Standards entwickelt wurden wie beispielsweise IoT, Robotik, Codierung, etc.
Ob sich, dem Beispiel der ALNG folgend und sich auf dessen Tolerierung durch das BKartA berufend, weitere LNGs bilden werden, bleibt jedoch abzuwarten. Kritische Stimmen sehen beispielsweise die Marktdefinition durch das BKartA als zu weit gefasst, oder sehen einen Zeit- und Effizienzverlust durch die Möglichkeit von (nachgelagerten) bilateralen Verhandlungen zwischen einzelnen ALNG-Mitgliedern und den SEP-Inhabern.