Aktuelles | 3. Februar 2025

LNGs vs. SEPs – Bundeskartellamt sagt ja zu Verhandlungsgemeinschaften – Chance für den Mittelstand?

Standardessenzielle Patente, kurz SEPs, sind für die Umsetzung bestimmter Technologiestandards in Produkten wie Smartphones und Fahrzeugen unerlässlich. Die Inhaber von SEPs sind verpflichtet, Lizenzen zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden (sog. „FRAND“) Bedingungen zu erteilen. Da ist es nicht gerade überraschend, dass es seit Jahren trotzdem häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Lizenzierungspflicht und vor allem über die Bedingungen, also die Höhe der Lizenzgebühren, kommt und seit Jahren nach einem goldenen Mittelweg zur einvernehmlichen und zufriedenstellenden Lösung für beide Seiten, also Lizenzgeber und -nehmer, gesucht wird.

Bereits 2022 gab es den Vorschlag der Bildung sogenannter LNGs, Licensing Negotiating Groups, die als eine Art genossenschaftliche Einkaufsgruppe für Lizenzen von SEPs gesehen werden können, um die Lizenzverhandlungen effizienter zu gestalten, indem sie die Zahl der notwendigen Verhandlungen reduzieren und somit Transaktionskosten senken können.

Nachdem die Europäische Kommission den Vorschlag dieser LNGs grundsätzlich als einen möglichen Weg bejaht und entsprechende Leitlinien hierfür erlassen hatte, hat das Bundeskartellamt (BKartA) mittlerweile ganz konkret die Gründung der ‚Automotive Licensing Negotiation Group‘ (ALNG) offiziell akzeptiert. Bei der ALNG handelt es sich um eine Kooperationsinitiative von BMW, Mercedes-Benz, Thyssenkrupp und VW. Sie soll es den beteiligten Unternehmen ermöglichen, gemeinsam Lizenzen für standardessentielle Patente (SEP) zu verhandeln, die für die Implementierung von Technologien wie 4G oder 5G in Fahrzeugen erforderlich sind.

Das BKartA kam nach Prüfung des Vorschlags gemäß §§ 1, 2 GWB i.V.m. § 32c(2) GWB, sowie Artikel 101 TFEU zu diesem Ergebnis. Andreas Mundt, der Präsident des BKartA, betonte, dass die Kooperation kartellrechtlich Neuland betritt und dass die Tolerierung der ALNG unter folgenden Bedingungen erfolgt (siehe Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 10.06.24):

  • Marktanteile: Bei gemeinsamen Beschaffungsmaßnahmen (z. B. gemeinsamen Lizenzverhandlungen) sieht das europäische Kartellrecht einen Schwellenwert von 15 % für den gemeinsamen Marktanteil vor. Wird dieser Schwellenwert nicht überschritten, so wird davon ausgegangen, dass die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft nicht über so viel Marktmacht verfügen, dass ihre Bemühungen zu einer Einschränkung des Wettbewerbs führen. Wichtig ist, dass der Schwellenwert sowohl für den Einkaufs-/Lizenzierungsmarkt als auch für den nachgelagerten Absatzmarkt für Endprodukte gilt.
    Im Falle der ALNG ist das BKartA davon ausgegangen, dass der gemeinsame Anteil der (derzeitigen und potenziellen künftigen) Teilnehmer bei der Lizenzierung allgemeiner Mobilfunktechnologien 15 % nicht überschreiten wird, während dieser Schwellenwert bei der Lizenzierung von Kfz-spezifischen SEPs überschritten werden kann. Dementsprechend ist das ALNG ausdrücklich auf die Lizenzierung nicht-automobilspezifischer Standards, hier konkret allgemeiner Mobilfunk-SEPs, beschränkt. Was die nachgelagerten Märkte für den Verkauf von Endprodukten (Kraftfahrzeuge) anbelangt, so hält das BKartA den Schwellenwert für mindestens teilweise überschritten. Da jedoch die Kosten für die Lizenzierung von SEP im Bereich der allgemeinen Mobilfunktechnologien vergleichsweise gering sind (regelmäßig unter 1% der gesamten Produktionskosten eines Kraftfahrzeugs), kam das BKartA zu dem Schluss, dass eine Wettbewerbsbeschränkung auch auf diesen Märkten unwahrscheinlich ist.
  • Offenheit: Auch das BKartA hielt es für notwendig und verlangte daher, dass das ALNG offen bleibt für Anbieter, die ebenfalls Anspruch auf und Interesse an der Lizenzierung der jeweiligen SEPs haben könnten.
  • Freiwillige Verhandlungen: Das BKartA verlangte von den ALNG-Mitgliedern, auch bilaterale Verhandlungen mit SEP-Inhabern und Patentpools anzubieten, um die möglichen Auswirkungen der Bündelung der Nachfragemacht weiter abzumildern.
  • Maßnahmen zur Begrenzung des Informationsaustauschs: Um einen unzulässigen Austausch von wettbewerblich sensiblen Informationen zwischen den ALNG-Mitgliedern auszuschließen, verlangte das BKartA die Umsetzung von vorsorglichen, organisatorischen Maßnahmen, die das ALNG zuvor angeboten hatte. Durch diese Maßnahmen soll der Informationsaustausch auf das für die gemeinsamen Genehmigungsbemühungen unbedingt Notwendige beschränkt werden.
  • Benachrichtigung über künftige Änderungen: Schließlich verpflichtete das BKartA das ALNG, ihm jede künftige Erweiterung des Tätigkeitsbereichs und jede andere wesentliche Änderung mitzuteilen

Die Etablierung von Licensing Negotiation Groups (LNGs) wie der ALNG ist eine relativ neue Entwicklung im Markt. Während die ALNG die Vorteile einer solchen Kooperation hervorhebt, äußern Lizenzgeber Bedenken, dass solche Gruppen die Verhandlungsmacht zu ihren Ungunsten verschieben könnten. Das BKartA hat jedoch entschieden, dass die ALNG in ihrer geplanten Form keine durchgreifenden kartellrechtlichen Bedenken aufwirft, solange die festgelegten Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Bislang scheint die ALNG die einzige „Einkaufsgemeinschaft“ für FRAND Lizenzen zu sein. Für die Zukunft könnten sich jedoch auch kleinere KMUs zu solchen LNGs zusammenschließen, um kosteneffizienter günstigere FRAND-Lizenzierungen mit den SEP-Inhabern oder SEP-Pools zu verhandeln, nicht nur im 4G/5G/6G Bereich, sondern in allen Bereichen, in denen Standards entwickelt wurden wie beispielsweise IoT, Robotik, Codierung, etc.

Ob sich, dem Beispiel der ALNG folgend und sich auf dessen Tolerierung durch das BKartA berufend, weitere LNGs bilden werden, bleibt jedoch abzuwarten. Kritische Stimmen sehen beispielsweise die Marktdefinition durch das BKartA als zu weit gefasst, oder sehen einen Zeit- und Effizienzverlust durch die Möglichkeit von (nachgelagerten) bilateralen Verhandlungen zwischen einzelnen ALNG-Mitgliedern und den SEP-Inhabern.

Veröffentlichung
3. Februar 2025
Kategorie
Aktuelles