Sehr geehrte Damen und Herren,
In Anbetracht des digitalen Zeitalters, in dem Dokumente zukünftig nur noch elektronisch zugestellt werden, wird das Europäische Patentamt ihre sog. 10-Tages-Zustellfiktion, welche bisher die Berechnung von Fristen regelte, zum 1. November 2023 abschaffen.
Mit den geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ findet die derzeitige Zustellfiktion, wonach ein Schriftstück mit dem zehnten Tag nach der Übergabe an den Postdiensteanbieter oder – im Falle der elektronischen Zustellung – mit dem zehnten Tag nach seiner Übermittlung als zugestellt gilt („Zehn-Tage-Regel“), ab dem 1. November 2023 keine Anwendung mehr. Vielmehr wird eine neue Zustellfiktion eingeführt, wonach die elektronische (aber auch jegliche postalische) Zustellung als am Datum des Schriftstücks erfolgt gelten wird.
Die geänderte Zustellfiktion soll zu einer Vereinfachung für die Nutzer führen, weil damit die Zustellungsregelungen des EPÜ und des PCT stärker aneinander angeglichen werden.
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Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gerne!
Jürgen Feldmeier, LL.M.
Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass unsere geschäftsführende Partnerin Dr. Dorothea Hofer das European Patent Litigation Certificate erworben hat, das von der Universität Maastricht in Zusammenarbeit mit der Europäischen Rechtsakademie (ERA) in Trier verliehen wird. Dies beinhaltet eine umfangreiche praktische und theoretische Ausbildung im Recht des Einheitlichen Patentgerichts (#UPC) und verwandten Gebieten des europäischen Rechts, so dass sie bestens auf die Vertretung von Mandanten in allen Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht vorbereitet ist.
(III) Vergleich des Einspruchsverfahrens beim EPA und des Nichtigkeitsverfahrens vor dem EPG
Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) sind ein attraktives Forum für die Anfechtung von Patenten; das Verfahren ist hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses weltweit nahezu konkurrenzlos. Das Verfahren ist einfach, schlank und relativ kostengünstig. Die Praxis ist gut erprobt. Allerdings gibt es Einschränkungen und Nachteile – zum Beispiel eine Frist von neun Monaten nach dem Erteilungsdatum für die Einreichung, die lange Dauer des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens und strenge Regeln für die Zulassung verspätet eingereichter Beweismittel.
Das EPG-Übereinkommen bietet nun eine zweite Chance, indem es ein weiteres Forum für den zentralen Widerruf eines europäischen Patents im gesamten Gebiet der EPG-Staaten bereitstellt. Außerdem können Nichtigkeitsklagen vor dem UPC jederzeit nach der Erteilung erhoben werden, unabhängig von Einspruchsverfahren vor dem EPA. Es handelt sich also in der Tat um einen (weiteren) wirksamen Angriff auf das europäische Patent, und zwar auch dann, wenn parallel dazu bereits europäische Einspruchs- und Beschwerdeverfahren anhängig waren. Im deutschen Rechtssystem gibt es dagegen – neben der Tatsache, dass es nur gegen den deutschen Teil des europäischen Patents wirkt – die Einschränkung, dass ein Nichtigkeitsverfahren unzulässig ist, solange noch ein europäisches Einspruchs- und Beschwerdeverfahren anhängig ist.
Das Einspruchsverfahren beim EPA ist im Wesentlichen ein schriftliches Verfahren mit einer mündlichen Verhandlung am Ende; die mündliche Verhandlung findet vor einem dreiköpfigen Gremium statt und kann einen ganzen Tag dauern. Das EPG verfolgt einen ähnlichen Ansatz – ein schriftliches Verfahren, gefolgt von einer mündlichen Anhörung. Allerdings ist der Zeitplan für das Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG sehr eng. Das EPG verlangt, dass der Patentinhaber innerhalb von zwei Monaten eine Klageerwiderung einreicht (während das EPA eine Frist von vier Monaten vorsieht); anschließend kann der Kläger innerhalb von zwei Monaten eine Replik auf die Klageerwiderung einreichen, danach gibt es wiederum lediglich eine 1-monatige Frist für den Nichtigkeitsbeklagten (Patentinhaber) zur Duplik auf die Erwiderung, die sich auf die in der Erwiderung angesprochenen Punkte beschränken soll.
Das schnellere Verfahren vor dem EPG kann auf Seiten des Nichtigkeitsklägers Taktiken ermöglichen, die vorher nicht möglich waren; denn während dieser seine Tatsachen und Argumente (und potenziellen Gegenargumente) vor Klageerhebung gut vorbereiten kann, ist der Beklagte (Patentinhaber) hinsichtlich Zeit und Aktionen unter Druck. Für den Patentinhaber sind deshalb ein effektives Zusammenwirken mit seinem Team an Anwälten wichtig. Sollte allerdings der Patentinhaber mit der Verletzungsbeklagte beginnen, liegt der Druck eher auf Seiten des Verletzungsbeklagten, wenn dieser sich (auch) durch eine Widerklage auf mangelnde Rechtsbeständigkeit berufen will; denn dieser Widerklage sollte zeitnah nach Klagebeginn erhoben werden, damit sie im Verlauf des Verletzungsverfahrens Berücksichtigung findet.
Ein Unterschied zum EPA besteht darin, dass das Einreichen einer Nichtigkeitsklage beim EPG deutlich teurer ist als ein Einspruch beim EPA: Die Gerichtsgebühr beträgt 20 000 Euro, während sie beim EPA derzeit nur 880 Euro beträgt. Die Kosten beim EPG sind vergleichbar mit der Erhebung einer deutschen Nichtigkeitsklage – allerdings mit dem Unterschied, dass das Urteil im gesamten EPG-Territorium wirkt.
Obwohl die Einspruchsabteilungen des EPA den Parteien grundsätzlich die Kosten auferlegen könnten, geschieht dies in der Praxis nur sehr selten; die vorherrschende Regel ist, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt. Die Verfahrensordnung des EPG dagegen sieht vor, dass eine obsiegende Partei Anspruch auf die Erstattung seiner Kosten hat, soweit diese angemessen und verhältnismäßig sind.
Es besteht auch die Gefahr, dass die Angelegenheiten vor dem EPG kompliziert werden, wenn die Rechtsbeständigkeit eines europäischen Patents durch eine Nichtigkeits-Widerklage gegen eine Verletzungsklage angefochten wird. In Einspruchsverfahren vor dem EPA wird nur die Rechtsbeständigkeit allein geprüft – eine Verletzung wird vom EPA überhaupt nicht berücksichtigt.
Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass das Verfahren vor dem EPG zweigeteilt wird – d.h. ein wie in Deutschland seitjeher praktiziertes zweigliedriges System – bei dem Verletzung und Rechtsbestand von zwei verschiedenen Gerichten (ersteres von der Lokalkammer, letzteres von der Zentralkammer) getrennt entschieden werden.
Während alle isolierten Nichtigkeitsklagen vor einer Zentralkammer des EPG verhandelt werden, können Nichtigkeits-Widerklagen auf Verletzung stattdessen vor der dann zuständigen lokalen Kammer des EPG erhoben werden. Das heißt es liegt im Ermessen der lokalen Kammer, die Nichtigkeits-Widerklage an die Zentralkammer zu verweisen. Die Praxis wird zeigen, welches Prinzip – das eingleisige oder das zweigleisige Verfahren – vor dem EPG insgesamt Vorteile bringt und sich möglicherweise langfristig durchsetzt.
Wie aus diesem Überblick hervorgeht, gibt es Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen dem Einspruchsverfahren vor dem EPA und dem Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG. Der in der Praxis wohl bedeutendste Unterschied ist die relativ strenge Zeitregelung, die für das Verfahren vor dem EPG vorgesehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verletzungs- und die Nichtigkeits-Widerklage gleichzeitig laufen und somit ein wirksames und zügiges Handeln der Parteien und ihrer Vertreter erforderlich ist. Allerdings mit dem Vorteil, dass eine Entscheidung innerhalb kurzer Zeit ergeht.
Weiter zum Teil 1: (I) Einführung und Überblick
Weiter zum Teil 2: (II) Strategische Überlegungen zur Nutzung des neuen EU-Gerichts oder zum Opting-out
(II) Strategische Überlegungen zur Nutzung des neuen EU-Gerichts oder zum Opting-out
Während einer siebenjährigen Übergangsphase kann die Zuständigkeit des künftigen Einheitlichen Patentgerichts (EPG; Unified Patent Court, UPC) durch einen Opt-out-Antrag des Schutzrechtsinhabers für eine anhängige europäische Patentanmeldung („EP-Anmeldung“), für ein erteiltes europäisches Patent („EP“) oder für ein ergänzendes Schutzzertifikat („SPC“) für nicht anwendbar erklärt werden. Diese Möglichkeit wurde eingeführt, um das Vertrauen der Nutzer langfristig zu stärken. Bei einem Opt-out werden Streitigkeiten weiterhin von den nationalen Gerichten der einzelnen Länder behandelt. Sobald ein europäisches Patent ein Opt-out erhalten hat, ist es für seine gesamte Laufzeit von der Gerichtsbarkeit des EPG ausgeschlossen.
Für Einheitspatente sind Opt-outs nicht möglich.
Opt-out-Anträge sind gebührenfrei und können von Inhabern von Schutzrechten oder von beim EPG zugelassenen Vertretern gestellt werden. Um die Kosten zu senken, wird empfohlen, Massenanträge auf der Grundlage von Listen einzureichen und dabei speziell für diesen Zweck entwickelte Software zu verwenden, um den Verwaltungsaufwand und damit die Kosten zu verringern. Es ist wichtig sicherzustellen, dass der Opt-out-Antrag alle tatsächlichen Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums korrekt identifiziert; die im Register des EPA eingetragenen Inhaber sind möglicherweise nicht die richtigen. Im Zweifelsfall ist es ratsam, die Daten mit den amtlichen Registern zu vergleichen, um z. B. zwischenzeitliche Änderungen oder Übertragungen von Rechten festzustellen. Eine ursprünglich unentdeckte Unrichtigkeit kann noch Jahre später in einem Rechtsstreit beanstandet werden, und ein ursprünglich ungültiges Opt-out kann zur unerwünschten Anwendbarkeit des EPG führen.
Es gibt eine zeitliche Begrenzung für den Opt-Out-Antrag: Geht eine Klage beim EPG ein, z.B. in Form einer Nichtigkeitsklage, hat ein nachträgliches Opt-Out keine Wirkung. Andererseits kann es sinnvoll sein – z. B. wenn sich die Umstände oder die Strategie ändern (siehe nachstehende Überlegungen) – das Opt-out-EP-Patent später dem EPG zugänglich zu machen, indem das Opt-out zurückgenommen wird (Opt-back-in).
Ein Opt-out für eine Teilanmeldung gilt unabhängig von demjenigen für die Stammanmeldung.
Vor- und Nachteile des EPG – was spricht für ein Opt-out, was dagegen?
Zahlreiche Faktoren im Allgemeinen und im Besonderen werden die Entscheidung beeinflussen, ob für bestimmte Patente die Vorteile des EPG die Nachteile überwiegen oder ob es besser ist, ein Opt-out zu wählen.
Die Vorteile und der Nutzen des EPG überwiegen die Nachteile, wenn die folgenden Ziele verfolgt werden:
(1) Eine einheitliche Entscheidung ermöglicht die Durchsetzung in allen teilnehmenden EU-Ländern (derzeit 17, in Zukunft wahrscheinlich mehr) mit einer einzigen Verletzungsklage. Dieser Vorteil kommt vor allem dann zum Tragen, wenn die Verstöße in mehreren Ländern begangen werden. Dieser Vorteil ist begrenzt, wenn nicht teilnehmende Länder betroffen sind, z.B. etwa Nicht-EU-Länder wie das Vereinigte Königreich oder die Schweiz, in denen Vertragsverletzungsverfahren möglicherweise noch gesondert eingeleitet werden müssen. Diese nachteiligen Auswirkungen könnten jedoch wieder neutralisiert werden, wenn z.B. dennoch mehrere EPG-Staaten betroffen sind oder wenn die übrigen nationalen Gerichte dem EPG-Urteil folgen oder wenn das EPG-Urteil einen Parteivergleich begünstigt; aufgrund des zügigen Verfahrens beim EPG ist zu erwarten, dass das EPG-Urteil zuerst vorliegt.
(2) Neben der damit verbundenen prozessualen und materiellen Vereinheitlichung und Vereinfachung wird die Durchsetzung von Patenten in weiten Teilen Europas zu relativ geringeren Kosten erreicht. Die obsiegende Partei erhält ihre Kosten zumindest teilweise erstattet. Einige ausgewählte Kostenpunkte von EPG-Verfahren sind in Tabelle 3 aufgeführt.
(3) Die Verfahrensdauer pro Instanz beträgt voraussichtlich nur 12-14 Monate von der Einleitung des Verfahrens bis zum Urteil.
(4) Patentinhaber haben in der Regel die freie Wahl eines geeigneten Gerichtsstandes, insbesondere wenn eine aktive statt einer passiven/defensiven Strategie verfolgt wird. Es ist zu erwarten, dass die vier deutschen Amtsgerichte des EPG mit ihren Zuständigkeiten eine hohe Anziehungskraft insbesondere für Patentinhaber haben werden. Das in München ansässige Zentralgericht hat mehr Zuständigkeiten erhalten: Nach dem Rückzug des Londoner Zentralgerichts wird es nun zusätzlich zu den bereits zuvor zugewiesenen Patenten aus dem Bereich der Mechanik auch über chemische Fälle entscheiden.
(5) Das EPG entscheidet unter Einbeziehung von technischen Richtern. Dies kann und wird wahrscheinlich zur besseren sachlichen Aufklärung des Sachverhalts beitragen, insbesondere bei technisch anspruchsvollen Patenten. Im Einklang mit dieser positiven Neuerung: Europäische Patentanwälte, die über eine entsprechende juristische Zusatzqualifikation verfügen, sind nun als Einzelanwälte vor dem EPG vertretungsberechtigt. Durch die zusätzliche fachliche Kompetenz sowohl auf Richter- als auch auf Vertreterseite ist somit eine Kommunikation „auf Augenhöhe“ mit diesem Richtergremium zu erwarten – ein wichtiger Vorteil insbesondere in der mündlichen Verhandlung.
(6) Die Verwendung einer einheitlichen Sprache, wie insbesondere z.B. Englisch als internationaler Standard.
(7) Die zu erwartende Harmonisierung der europaweiten Streitregelung. Und damit die Vermeidung einer schlecht vorhersehbaren, länderspezifischen Rechtsprechung der nationalen Gerichte.
(8) Wirksame Beweiserhebungsverfahren, insbesondere Inspektionen, sind möglich, die es in nationalen Verfahren bestimmter Länder nicht oder nur unzureichend gibt.
(9) Im Falle der mittelbaren Patentverletzung vermeidet das EPGÜ die Schwächen einiger nationaler Rechtssysteme, die ein „doppeltes Territorialitätsprinzip“ verlangen (ein mittelbarer Verletzer kann nur dann belangt werden, wenn sowohl seine Lieferung eines wesentlichen Elements als auch die letztlich verwirklichte Verletzung der beanspruchten Erfindung durch einen Anderen im Hoheitsgebiet desselben Staates erfolgt). Das EPG-System hingegen erleichtert eine wirksame Durchsetzung sowohl gegen den Lieferanten als auch gegen den unmittelbaren Verletzer, da es ausreicht, dass sowohl die Lieferung als auch die unmittelbare Verletzung irgendwo im gesamten EPG-Gebiet stattfinden. Dies ist ein klarer strategischer Vorteil, insbesondere in der heute häufig anzutreffenden Situation europaweiter Lieferketten.
(10) Der erfolgreiche Kläger erhält einen Teil seiner Prozesskosten zurück, wenn er den Prozess gewinnt. Die Höhe der Erstattung richtet sich nach den angemessenen Kosten des Parteivertreters; sie ist je nach Streitwert gedeckelt (z.B. bei einem Streitwert von 1 Mio. EUR können bis zu 112.000 EUR erstattet werden).
Tabelle 3: Kosten für erstinstanzliche Verfahren vor dem EPG
Art des Verfahrens | EPG-Gerichtsgebühren | ||
Verletzung |
Festgelegte Gebühr: 11.000 EUR |
optional plus wertabhängige Gebühr je nach: | |
des Streitwerts, z.B. 500.000 EUR 1.000.000 EUR 5.000.000 EUR |
zusätzliche Gebühr 0 EUR 8.000 EUR 32.000 EUR |
||
Nichtigkeit | Festgelegte Gebühr: 20.000 EUR | – | |
Einstweilige Verfügung | Festgelegte Gebühr: 11.000 EUR |
Das EPG birgt jedoch auch Risiken und führt möglicherweise zu Nachteilen, so dass Patentanmelder und -inhaber eher zu klassischen Patenten neigen und ein Opt-out beantragen könnten:
(1) Der Hauptnachteil besteht in dem Risiko, dass ein zentraler Angriff auf die Rechtsbeständigkeit möglich ist und somit mit einer einzigen Entscheidung zum Totalwiderruf im gesamten EPG-Gebiet führen kann. Das klassische EP-Patentsystem hingegen lässt weitere strategische Optionen zu, selbst wenn die Gültigkeit nur in einem Land verneint, in einem anderen aber bejaht werden könnte.
(2) Eine Frist von nur 2 Monaten für die Vorbereitung und Einreichung einer Erwiderung auf einen Nichtigkeitsangriff ist sehr kurz, um vollumfänglich zu reagieren. Eine angemessene Vertretung des Inhabers ist wichtig, um eine schnelle Bearbeitung ohne Verzögerung zu gewährleisten und die Antwortfrist voll auszunutzen.
(3) Ein älteres nationales Recht (d.h. Stand der Technik gemäß Art. 54(3) EPÜ, das eine frühere Priorität als das streitige Einheitspatent hat, aber nach dem Prioritäts-/Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht wurde) hat eine neuheitsschädliche Wirkung gegenüber dem Einheitspatent im gesamten UPC-Bereich. Bei klassischen EP-Patenten wirkt das neuheitsschädliche ältere dagegen nur in demselben Land und wenn das EP-Patent dort validiert wurde.
(4) Ein zentraler Angriff auf die Rechtsbeständigkeit ist auch im Anschluss an oder sogar parallel zu einem Einspruchsverfahren beim EPA möglich. Eine zentrale Nichtigkeitsklage ist als eigenständige Klage oder als Nichtigkeits-Widerklage während eines Verletzungsverfahrens möglich.
(5) Ohne Vorgaben aufgrund der noch fehlenden Rechtsprechung in der Anfangsphase führt zu Rechtsunsicherheit, da das EPG Zeit brauchen wird, um seine Rechtsprechung zu entwickeln und offene Punkte des neuen Systems zu klären.
Bei der Entscheidung für oder gegen ein Opt-out spielen also verschiedene Faktoren eine Rolle; es gilt, die Vor- und Nachteile des neuen und des bekannten Systems gegeneinander abzuwägen und daraus eine Entscheidung für das gesamte oder einen Teil des eigenen Patentportfolios zu treffen. Stehen die Vorteile einer effektiven, „europaweiten“ und relativ kostengünstigen Prozessführung, die breitere Auswahl an Foren oder die gerichtliche Durchsetzung gegen mehrere – möglicherweise über Lieferketten verbundene – Beklagte im Vordergrund, könnten die Vorteile des neuen EPG-Systems den Ausschlag geben. Befürchtet man hingegen zentralisierte Angriffe auf die Rechtsbeständigkeit und damit das Risiko eines vollständigen Verlusts des Patents in einem einzigen Prozess, insbesondere bei wichtigen Patenten, wird man vorsichtshalber dazu neigen, das EPG zu meiden und daher ein Opt-out favorisieren.
Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Patentverletzungsfällen sowie die Harmonisierung durch das neue EPG werden helfen, in der Abwägung des Einzelfalls die richtige Entscheidung für das eine oder das andere System zu treffen. Wobei eine zeitlich gestaffelte und differenzierte Strategie eine gute Kombination ermöglicht: bei einem Opt-out zunächst die Rechtsentwicklung in einem Zustand geringen Widerrufsrisikos abwarten und die Wettbewerbssituation beobachten; wenn sich der neue EPG-Rechtsrahmen als rechtssicher erweist und seine Vorteile in Verfahrensfragen bestätigt oder Patentverletzungen akut erkennbar sind, dann ist ein Wechsel zum EPG-System durch einen einfachen Antrag auf Rücknahme des Opt-out (Opt-back-in) möglich. Dies sollte jedoch gut überlegt sein, da ein erneutes Opt-out nach einem Opt-in-Wechsel nicht mehr möglich ist.
Letztlich ist es eine Entscheidung für jeden Einzelfall. Je nach Einzelfall sprechen wichtige Überlegungen zugunsten des neuen EPG-Systems:
Wichtig ist, dass die Phase der Entscheidungen für oder gegen das EPG (Opt-out) über die anfängliche Sunrise-Periode hinausgeht, denn diese Entscheidungen müssen fortlaufend zu laufenden EP-Anmeldungen und zukünftig erteilten Patente gefällt werden.
Die Entscheidung, ob das europäische Patent letztendlich die Form eines Einheitspatents annimmt oder ob es national validiert wird, sollte daher auch die Aspekte des gewünschten Gerichtssystems berücksichtigen. Nur validierte EP-Patente können ausgeoptet werden. Entscheidet sich der Anmelder dagegen für das Einheitspatent, ist ein Opt-out nicht möglich; das EPG-System ist dann zwingend vorgeschrieben. Ein früher gestellter Opt-out-Antrag würde dann unwirksam. In dieser Hinsicht besteht ein Zusammenhang zwischen den Entscheidungen für oder gegen das Einheitspatent und für oder gegen das EPG. Das heißt, die Entscheidung für oder gegen ein Einheitspatent – insbesondere zum Zeitpunkt der Patenterteilung – sollte bereits mögliche Verletzungs- und Rechtsbeständigkeitsfragen berücksichtigen, die sich in der Zukunft ergeben könnten. Es sollte auch berücksichtigt werden, wo die derzeitigen und künftigen relevanten Märkte liegen, wo es zu Verletzungen kommen könnte und ob eine grenzüberschreitende Durchsetzung wünschenswert wäre.
Die Anmelder sollten sich auch über verschiedene Anmeldestrategien im Klaren sein, um die Risiken des neuen Systems abzumildern. So kann es beispielsweise sinnvoll sein, eine Teilanmeldung als Ausweichposition für wichtige europäische Patentfamilien anhängig zu halten. Das Stammpatent kann auf nationaler Ebene validiert werden, während die Teilanmeldung in das neue System einfließen kann (oder umgekehrt), um mehr Flexibilität bei der Prozessstrategie zu ermöglichen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass mehrere europäische Länder einen Doppelschutz zulassen, d.h. nationale Patente können neben Einheitspatenten bestehen, selbst wenn/soweit der Schutzumfang derselbe ist.
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(I) Einführung und Überblick
Der 1. Juni 2023 markiert den Beginn einer neuen Ära im europäischen Patentrecht: Das neue europäische Einheitspatentsystem, bestehend aus dem Einheitspatent (Unitary Patent, UP) und dem Einheitlichen Patentgericht (EPG; Unified Patent Court, UPC), trat in Kraft. 50 Jahre nach der Einführung des Europäischen Patentübereinkommens und Millionen von angemeldeten europäischen Patenten ist dies vielleicht die bedeutendste Veränderung in der europäischen Patentpraxis. Das Einheitspatent kommt als dritte Säule zu den klassischen europäischen Patenten und den nationalen Patenten hinzu. Das Einheitliche Patentgericht wird sowohl das Einheitspatent als auch die klassischen europäischen Patente als modernes und effizientes Prozesssystem beeinflussen.
Was wird neu sein, was wird bleiben? Da die Patentlandschaft in Europa immer komplexer wird, stellen sich wichtige Fragen: Welche strategischen Entscheidungen müssen getroffen werden? Wie sollten sich Patentanmelder und -inhaber darauf einstellen, und welche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn sie ihre Geschäfte in Europa durch patentgeschützte Innovationen flankieren? Dieser Artikel soll eine Hilfestellung bei der Beantwortung solcher und anderer Fragen geben und gegebenenfalls einen Vergleich mit dem bisher existierenden deutschen und europäischen Streitregelwerk ziehen.
Kernpunkte des neuen Systems des Einheitspatents (UP) und des Einheitlichen Patentgerichts (EPG)
Art des Schutzes
Mit der Einführung des neuen Rechtsrahmens hat der Patentanmelder auf europäischer Ebene (d. h. neben den nationalen Patenten) die Möglichkeit zu wählen zwischen
(a) dem neuen europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“ / UP) in den Hoheitsgebieten aller teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, die das Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht (EPGÜ) ratifiziert haben, und
(b) wie bisher das „klassische“ europäische Patent, das ein Bündelpatent ist und nach Erteilung des Patents in nationale Teile für die letztlich gewünschten validierten Länder aufgeteilt wird. Wird ein zusätzlicher Schutz für einzelne Länder angestrebt, die nicht durch das Einheitspatent nach (a) abgedeckt sind (z.B. die Nicht-EU-Länder Großbritannien oder Schweiz), muss eine Mischung aus (a) und (b) gewählt werden.
Die Wahlmöglichkeit wird zum Zeitpunkt der Erteilung ausgeübt, und zwar innerhalb einer Frist von einem Monat nach der Veröffentlichung der Erteilung. Bis zur Erteilung ist das Verfahren vor dem Europäischen Patentamt das gleiche, unabhängig von der späteren Wahl der Schutzart. Das bedeutet, dass die formellen, verfahrensrechtlichen und materiellen Anforderungen gleich sind, unabhängig davon, ob es sich um ein Einheitspatent oder ein klassisch validiertes Patent handelt.
Derzeit sind die in der Karte in Abb. 1 dargestellten und nachfolgend aufgeführten EU-Mitgliedstaaten vom neuen europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung erfasst:
Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Dänemark, Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Bulgarien.
Die Karte rechts zeigt den jeweiligen Status der EU-Staaten, je nachdem, ob das EPGÜ für sie in Kraft ist (dunkelblau), ob sie das Übereinkommen unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben (mittelblau) oder ob sie den Vertrag nicht unterzeichnet haben (hellblau).
Es bleibt abzuwarten, ob die verbleibenden teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten das EPGÜ noch ratifizieren werden, und ob Spanien, Polen und Kroatien, die dem EPGÜ bisher nicht beigetreten sind, ihre Position in Zukunft ändern werden, um dem europäischen Einheitspatentsystem letztlich zu einer vollständigen EU-weiten einheitlichen Regelung zu verhelfen.
Interaktion zwischen EPA/EPÜ und UP/EPG
Bis zur Erteilungsphase einer europäischen Patentanmeldung bleibt alles beim Alten. Insbesondere ist das Europäische Patentamt (EPA) weiterhin für die Recherche und Prüfung zuständig. Erst im Erteilungsstadium kann der Anmelder zwischen einer klassischen Validierung oder einem UP oder einer Mischung aus beidem wählen (UP und Validierung in Ländern, die nicht Vertragspartei des EPGÜ sind). Der Einspruch vor dem EPA bleibt bestehen, unabhängig davon, ob es sich um ein UP und/oder ein klassisch validiertes EP-Patent handelt.
Das neu eingeführte Einheitliche Patentgericht (EPG) ist ein gemeinsames Gericht der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten und der Vertragsstaaten des EPGÜ. Ein wichtiger Unterschied zur Art des Schutzes besteht darin, dass das EPG nicht nur für Einheitspatente zuständig ist, sondern auch für klassische europäische Patente, die in einem oder mehreren Staaten validiert wurden, falls das validierte Land ebenfalls ein EPG-Staat ist und falls der Patentinhaber die EPG-Anwendbarkeit nicht durch einen speziellen Antrag ausgenommen (wie später erläutert). Die wichtigste Änderung für die Prozesspraxis ist, dass eine Entscheidung des EPG einheitliche Wirkung in allen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten hat.
Wählt der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Erteilung das Einheitspatent (UP) als Schutzart, so ist das EPG in den teilnehmenden EU-Ländern obligatorisch. Für klassische europäische Patente hat der Patentinhaber jedoch die Möglichkeit, während einer siebenjährigen Übergangszeit die Anwendbarkeit des EPG durch einen so genannten „Opt-out“-Antrag auszuschließen; dann gilt weiterhin das alte System der nationalen Verfahrensregeln.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Aufgaben und Zuständigkeiten von EPA und EPG:
Europäisches Patentamt | Einheitliches Patentgericht* | |
Einreichung
Prüfung
Erteilung
Einspruch Berufung |
Einheitspatent (UP)
|
Verletzungsklage
(PI und Hauptverfahren) Feststellungsklage auf Nicht-Verletzung Nichtigkeitsklage |
validiertes EP-Patent* |
* das EPG ist auch für das klassisch validierte EP-Patent zuständig, es sei denn es wird durch einen Opt-Out-Antrag des Patentinhabers für nicht anwendbar erklärt
In Tabelle 2 sind die Vor- und Nachteile für die Wahl zwischen UP und Validierung des EP-Patents in den einzelnen Ländern aufgeführt. Die Entscheidung des Patentinhabers für das eine oder das andere System beinhaltet eine Abwägung der Vor- und Nachteile je nach Einzelfall.
Pro | Contra | |
Einheitspatent (UP) |
|
|
Validiertes EP-Patent |
|
|
Weitere positive oder kritische Auswirkungen werden nachfolgend deutlich werden, wenn die Einzelheiten des neuen Systems und die Faktoren für die Entscheidung für oder gegen das neue Recht erörtert werden.
Verfahrensrecht vor dem neuen Einheitlichen Patentgericht (EPG)
Die Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts ähnelt in ihren Grundstrukturen und Abläufen dem deutschen Gerichtsverfahren. Allerdings gibt es beim UPC einige Besonderheiten, die zu beachten sind:
Es ist also klar, dass die Patentlandschaft und die Rechtsstreitigkeiten in Europa durch das neue Europäische Einheitspatent und das neue Einheitliche Patentgericht zwar komplexer werden, dass diese Instrumente aber effektiv zusätzliche Mittel und Wege für ein zentralisiertes, effektives und relativ kostengünstiges System zur Erlangung und Durchsetzung von Rechten eröffnen. Die Erreichung der strategischen Ziele erfordert jedoch mehr denn je eine gute Vorbereitung und die Beachtung der Besonderheiten und des engen Zeitrahmens des neuen Prozessrechts.
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Wir freuen uns, dass unsere Kanzlei Prüfer & Partner zusammen mit vier unserer Anwälte für ihre herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Patenterteilung und der Nichtigkeit in der neu erschienenen 2023 Ausgabe von iam Patent 1000, einem der weltweit führenden Rankings für Patentdienstleister, ausgezeichnet wurde.
Was das Ranking sagt
Prüfer & Partner
“Die Anwälte von Prüfer & Partner zeichnen sich durch ihre sorgfältige Berücksichtigung der Position des Mandanten aus. Sie sind immer ansprechbar und bieten detaillierte und pragmatische Lösungen. Ihr Service ist sehr zufriedenstellend und das gesamte Team ist sehr zu empfehlen.”
Jürgen Feldmeier
“Jürgen Feldmeier ist ein erfahrener Patentanwalt auf dem Gebiet des Hightech-Engineerings und wird für seine klare Beratung sehr geschätzt. Er erledigt EPA-Verfahren und Nichtigkeitsklagen mit Leichtigkeit – in der Regel mit einem erfolgreichen Ergebnis. Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr angenehm und er hat ein ausgeprägtes technisches Verständnis.”
Dr. Dorothea Hofer
“Dorothea Hofer ist ausgezeichnet. Sie bietet einen hervorragenden Service, reagiert schnell und angemessen und hat eine ausgeprägte Fähigkeit, komplizierte technische Sachverhalte zu verstehen. Sie wählt ihre Mitarbeiter richtig aus, um ein solides Team zu bilden, das wichtige Fälle wie Rechtsstreitigkeiten bearbeiten kann. Die Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis ihrer Arbeit sind absolut zufriedenstellend. Dorothea und ihre Kanzlei gehören zu den empfehlenswertesten Patentexperten in Deutschland.”
Dr. Andreas Oser
“Für das Patenterteilungsverfahren sowie Einsprüche vor dem EPA und technisch fundierte Stellungnahmen ist Andreas Oser auf jeden Fall zu empfehlen. Er ist zuverlässig und bringt umfassende Erfahrung auf dem Gebiet mit. Er ist kundenorientiert und sehr angenehm in der Zusammenarbeit.”
Markus Adamczyk
Zu den oben genannten Anwälten im IAM Patent 1000 gehört in diesem Jahr auch Markus Adamczyk, ein anerkannter Experte für KI und computerimplementierte Erfindungen. Mit seinen Kenntnissen in Informatik, Maschinenbau und seiner internen Forschungserfahrung bei Vodafone steht Adamczyks technische Expertise außer Frage. Er unterstützt das Team um Patentanwalt Feldmeier für den Druckindustrieführer Brother Industries und den Spezialmaschinen- und Anlagenbauer Hymmen GmbH.
Über IAM Patent 1000
Das angesehene Ranking IAM Patent 1000, die von der Globe Business Media Group in London veröffentlicht wird, gilt gemeinhin als die maßgebliche Quelle für alle, die Die auf der Suche nach erstklassigem Patentfachwissen und führenden Patentdienstleistern sind. IAM führte ein umfassendes qualitatives Forschungsprojekt durch, um herausragende Firmen und Einzelpersonen in verschiedenen Rechtsgebieten zu identifizieren. Bei der Ermittlung der führenden Kanzleien wurden Faktoren wie deren Fachwissen, die Marktpräsenz und das Niveau der Arbeit, mit der sie typischerweise beauftragt werden, ebenso berücksichtigt wie positives Feedback von Kollegen und Mandanten.
Wir freuen uns sehr, dass unsere Patentanwälte Dr. Dorothea Hofer, Herr Jürgen Feldmeier sowie Dr. Andreas Oser im vom Handelsblatt am 16. Juni 2023 veröffentlichten Ranking als beste Anwälte des Jahres 2023 gelistet werden.
Es ist eine große Ehre für unsere Kanzlei, dass gleich drei unserer Experten in diesem renommierten Ranking vertreten sind. Ein herzliches Dankeschön auch an unsere Kolleginnen und Kollegen für die zahlreichen Empfehlungen und die gute Zusammenarbeit!
Wir freuen uns darauf, unsere Mandanten auch weiterhin in allen patentrechtlichen Angelegenheiten bestmöglich zu unterstützen und ihre Rechte zu wahren.
Über das Ranking Beste Anwälte vom Handelsblatt
In Zusammenarbeit mit dem US-Verlag Best Lawyers hat die renommierte Wirtschaftszeitschrift Handelsblatt das bekannt Ranking der besten Anwälte und Wirtschaftskanzleien Deutschlands für das Jahr 2023 ermittelt. Die aktuelle Edition im Handelsblatt basiert auf der 15. Ausgabe des Best-Lawyers-Ratings.
In dem Verfahren werden Wirtschaftsanwälte gefragt, welche Wettbewerber sie besonders empfehlen können. Das Auswahlverfahren folgt der Überzeugung, dass Anwälte selbst am ehesten beurteilen können, welche Kollegen für bestimmte Rechtsgebiete besonders qualifiziert sind. Anwälte können von jedem nominiert werden, außer von sich selbst.
Nach dem derzeit geltenden Zeitplan wird das Einheitliche Patentgericht am 01. Juni 2023 seine Arbeit aufnehmen.
Die sogenannte Sunrise-Periode, innerhalb der Opt-out Anträge beim Einheitlichen Patentgericht für erteilte europäische Patente oder veröffentlichte europäische Patentanmeldungen gestellt werden können, beginnt nach derzeitiger Planung des Einheitlichen Patentgerichts am 01. März 2023.
Ein Opt-out Antrag ist nur dann wirksam, wenn er im Register des Einheitlichen Patentgerichts eingetragen ist.
Derzeit ist es noch nicht bekannt, wie lange es von der Antragsstellung bis zur Eintragung dauert, da es noch keine Erfahrungswerte gibt. In einer Testphase für die Aktenverwaltungs- und Kommunikationssoftware des Einheitlichen Patentgerichts, die am 13. Februar 2023 beginnt, können wir den Vorgang der Antragsstellung testen, was aber keine sicheren Rückschlüsse auf die spätere Verarbeitungsdauer der Opt-out Anträge beim Einheitlichen Patentgericht zulässt.
Wir empfehlen daher eventuelle Opt-out Anträge so früh wie möglich beginnend ab dem 01. März 2023 zu stellen.
Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem Sie nochmals Ihr Patentportfolio europäischer Patente und veröffentlichter europäischer Patentanmeldungen prüfen sollten und entscheiden sollten, für welche Patente/Patentanmeldungen frühzeitig ein Opt-out Antrag gestellt werden sollte.
Haben Sie noch Fragen zu diesem Thema bzw. zum Einheitlichen Patentgericht und zum Patent mit Einheitlicher Wirkung?
Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gerne!
Dr. Dorothea Hofer
Patentanwältin, European Patent Attorney,
European Trademark & Design Attorney
Der Beginn der Sunrise Period wird um zwei Monate verschoben. Der ursprüngliche Fahrplan sah den 1. Januar 2023 als Beginn der Sunrise-Periode und das Inkrafttreten des EPGÜ am 1. April 2023 vor. Obwohl die allgemeinen Vorbereitungsarbeiten des EPGÜ planmäßig verlaufen, wurde beschlossen, dass zusätzliche Zeit eingeräumt werden soll, um den künftigen Nutzern die Möglichkeit zu geben, sich auf die starke Authentifizierung vorzubereiten, die für den Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem (CMS) und die Unterzeichnung von Dokumenten erforderlich sein wird.
Aus einer Verlautbarung von Klaus Grabinski, Richter am Bundesgerichtshof und erster Präsident des UPC, geht hervor, dass die Vorbereitungen seitens des neuen Gerichts an sich alle im Zeitplan wären, wonach die Richter bereits ernannt wurden, die Einstellung des Gerichtspersonals voranschreitet, die Büroräumlichkeiten ausgewählt sind, so dass die Gerichtsverwaltung bereits zu Beginn 2023 arbeitsfähig sein sollte. Die Verschiebung wurde vielmehr damit begründet, dass die Authentifizierungsvorschriften zur Nutzung des online Portals des UPC voraussetzen, dass sich die Nutzer geeignete Tools über entsprechende Provider beschaffen müssen, was durchaus mehr Zeit in Anspruch nehmen könnte als gedacht. Von einer weiteren Verzögerung des Starts wird jedoch nicht ausgegangen. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.
Bei Fragen hierzu steht Ihnen unser Team sehr gerne zur Verfügung. Jürgen Feldmeier, LL.M. (feldmeier@pruefer.eu)
Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht auf JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023
Mit großer Spannung wird die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer (GBK) des Europäischen Patentamts (EPA) im derzeit anhängigen Verfahren G2/21 erwartet. Diese könnte einen erheblichen Einfluss auf die künftige Anmeldestrategie von Patentanmeldern haben, denn im Kern geht es darum, wann eine Erfindung „fertig“ zum Einreichen ist.
Die Sicherung eines frühen Anmeldetags für eine Erfindung ist ein wichtiger Aspekt einer Patentstrategie, um die eigene Rechtsposition gegenüber Wettbewerbern zu sichern. Aus Zeit- und Kostengründen stellt sich die Frage, wieviel experimenteller Aufwand unter patentrechtlichen Gesichtspunkten vor dem Einreichen einer Patentanmeldung betrieben werden muss, um die behaupteten Effekte zu stützen, oder ob entsprechende Beweismittel nachgereicht werden können.
Bis es zu einer Entscheidung G2/21 zur abschließenden Klärung relevanter Vorlagefragen kommt soll dieser Beitrag praktische Szenarien erörtern, die unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefragen weiterhin existieren werden, jedoch mit Hilfe der Entscheidung G2/21 – eventuell neu – bewertet werden müssen.
Eignung von „Beweismitteln“ aus der Produktentwicklung als Stütze einer Erfindung
Im Rahmen einer Produktentwicklung wird als Vergleichsprodukt gerne das Produkt eines Wettbewerbers oder der interne ‚Goldstandard‘ verwendet, unabhängig davon, ob man den Aufbau oder die Zusammensetzung dieser Vergleichsform genau kennt. Derartige Vergleichsdaten sind im Rahmen des vom EPA angewandten „Aufgabe-Lösungs-Ansatzes“ häufig nicht verwendbar, da nach ständiger Rechtsprechung der geltend gemachte Effekt eindeutig auf das unterscheidende Merkmal zurückzuführen sein muss.
Das experimentelle Untersuchen des Einflusses von allen potentiell relevanten Parametern auf den behaupteten Effekt und somit das Ausloten der Grenzen der Erfindung kann zeitlich und finanziell aufwändig sein und erscheint aus Erfindersicht meist nicht zielführend.
Unabhängig davon kann der Nachweis von technischen Effekten oft erst in Kenntnis des objektiv nächstliegenden Stands der Technik z.B. im Prüfungsverfahren punktgenau produziert werden, da erst dann die objektiv passgenaue (weil der beanspruchten Erfindung am Nächsten kommenden) Vergleichsform bekannt wird.
Aus derartigen Gründen werden experimentelle Untersuchungen gerne auf einen späteren Zeitpunkt verlagert. Ob dieses Aufschieben aber überhaupt möglich ist, soll nun durch die GBK geklärt werden.
Zugrundeliegende Fragestellung der G2/21
Gemäß den Vorlagefragen beschäftigt sich die GBK in erster Linie mit der Frage, ob erst nach Einreichung der Patentanmeldung Beweismittel wie z.B. Versuchsdaten dann unberücksichtigt bleiben müssen, wenn sie den ausschließlichen Nachweis für einen geltend gemachten Effekt darstellen. Der GBK werden drei Ansätze vorgelegt, die sich alle um das Kriterium drehen, ob oder inwieweit die ursprünglich in der Anmeldung gemachten Angaben einen geltend gemachten Effekt plausibel machen müssen:
Das für den Anmelder großzügigste Szenario wäre, wenn der ausschließliche Nachweis für einen geltend gemachten Effekt ohne weiteres nach dem Anmeldetag erfolgen kann, also keinerlei Plausibilitäts-Anforderung gestellt würde. Dies würde das Einreichen einer Erfindung in einem frühen, evtl. spekulativen („unreifen“) Zustand ermöglichen, um einen frühen Anmeldetag zu sichern.
Sollte die GKB jedoch zu dem Ergebnis kommen, dass Mindestanforderungen an die Plausibilität hinsichtlich der behaupteten Effekte in der Anmeldung selbst zu stellen sind, könnte als Standard eine entsprechende „ab-initio-Plausibilität“ für die technischen Effekte angelegt werden.
In einem dritten Fall könnte als Mindestmaß gefordert werden, dass die behaupteten Effekte zumindest nicht von vorneherein unplausibel sind, d.h. keine „ab-initio-Unplausibilität“ gegeben ist.
Reifezustand – wann ist eine Erfindung fertig zum Einreichen
Unabhängig davon, wie die GBK entscheiden wird, erachten wir es stets als sinnvoll, eine Anmeldung erst einzureichen, wenn Vorteile gegenüber dem Stand der Technik zumindest benannt werden können; der Beleg der technischen Effekte z.B. durch Vergleichsversuche sollte vor dem Einreichen geprüft werden.
Den „Reifezustand“ einer Erfindung könnte man wie folgt klassifizieren:
(i) Effekte sind (noch) nicht bekannt, lediglich die Merkmale zur Charakterisierung des gewünschten Produkts können angegeben werden
In diesem Fall könnte man, wenn ein früher Anmeldetag vorrangig ist, eine „Waschliste“ an potentiellen Effekten in den Anmeldetext aufnehmen, um sich bei Bedarf dann den gewünschten Effekt herauszugreifen. Obwohl aus dem Nichterreichen von Effekten aus der Anmeldung nicht direkt eine mangelnde Offenbarung erwächst, solange sie nicht im Anspruchswortlaut Niederschlag gefunden haben, könnte eine gänzlich spekulative Erfindungsbeschreibung unter Umständen die Berücksichtigung verspäteter Beweismittel oder gar die Nacharbeitbarkeit in Frage stellen.
(ii) Effekte werden erwartet und die Merkmale der Erfindung, die kausal verantwortlich sind, werden vermutet
Hier können die erwarteten Effekte bereits konkret benannt werden; diese sollten dann zumindest nicht „ab-initio unplausibel“ sein. Aus technischer Sicht sollten keine Zweifel gegen die mögliche Erreichung der genannten Effekte begründet sein. Bei der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglichen Anmeldung liegt die Herausforderung darin, dass nicht bekannt ist, welche Merkmale/Parameter für das Erreichen des Effekts ursächlich sind. Unabhängig von der Entscheidung G2/21 sollte möglichst die „Kausalität“ zwischen Effekten und den entsprechenden Merkmalen der Erfindung untersucht und im Anmeldetext erläutert werden. Bereits vorveröffentlichte Literatur kann helfen, diesen kausalen Zusammenhang zu begründen. Patentrechtlich gefordert wird lediglich, dass etwas funktioniert bzw. eine gestellte Aufgabe gelöst wird; eine wissenschaftliche Erklärung dafür, wie eine beanspruchte Problemlösung funktioniert, ist nicht notwendigerweise erforderlich.
(iii) Effekte werden erwartet, man kann aufgrund technischer Überlegungen darauf schließen, welche Merkmale der Erfindung kausal dafür verantwortlich sein sollten
Eine technische Erklärung, die die behaupteten Effekte erwarten lässt, kann in der Patentanmeldung gegeben werden („ab-initio-Plausibilität“). Ein echter experimenteller Beleg fehlt jedoch noch. In so einem Fall dürften die Erteilungsaussichten – die erforderliche Neuheit vorausgesetzt – gut sein, allerdings ist damit zu rechnen, dass z.B. in einem möglichen Einspruchsverfahren die Gegenseite diese „Plausibilität“ angreifen könnte, z.B. durch Vorbringen begründeter Zweifel, dass die der Plausibilität zugrundeliegende Theorie nicht stimmt. Ohne der Endentscheidung in der aktuellen Vorlage G2/21 vorgreifen zu wollen sollte es jedoch in diesen Fallkonstellationen aufgrund der vorliegenden „ab-initio-Plausibilität“ möglich sein, in der Tatsacheninstanz – d.h. nicht erst in Beschwerde oder Berufung – mittels nachgelieferter Experimente und Daten die erwarteten technischen Effekte zu untermauern.
(iv) Effekte sind bekannt und belegt
Hier sollte nichts gegen das Einreichen einer Patentanmeldung sprechen. Wenn ein neuer Stand der Technik z.B. im Prüfungsverfahren herangezogen wird, sollte es möglich sein, bei Bedarf weitere (nachveröffentlichte) experimentelle Daten zur Stützung der bereits in der Anmeldung gezeigten Effekte beizubringen.
Sonderfälle
Sonderfälle liegen dann vor, wenn technische Effekte nur für einen Teil eines beanspruchten Gegenstandes belegt oder zu erwarten sind, oder wenn ein technischer Effekt selbst ein beanspruchtes Merkmal – bspw. in einem Verwendungsanspruch – darstellt. Im ersten Fall stellt sich dann die Frage, ob der technische Effekt plausibel für den restlichen Teil des Anspruchs verallgemeinert werden kann, und im zweiten Fall wird das Kriterium der „Plausibilität“ auch im Rahmen der Prüfung relevant sein, ob die Erfindung überhaupt ausreichend offenbart und damit ausführbar ist. Auch hier sollten jedoch ähnliche Erwägungen wie zuvor erläutert eine Rolle spielen.
Fazit
• Die Entscheidung der GBK in dem Verfahren G2/21 wird hoffentlich Klarheit dahingehend liefern, in welchem „Reifezustand“ eine Erfindung eingereicht werden muss, damit behauptete Effekte anerkannt werden.
• In vielen Fällen wird – unabhängig von dem gemäß G2/21 anzulegenden Maßstab – ein frühes Einreichen gewünscht sein.
• Bereits jetzt zeigt sich: die Frage der „Plausibilität“ stellt keine eigene Patentierungsvoraussetzung dar. ist aber ein wichtiges Kriterium bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit und ggf. sogar der Ausführbarkeit einer beanspruchten Erfindung.
• Auf alle Fälle ist es sinnvoll, den Reifezustand der Erfindung vor dem Einreichen einer Patentanmeldung zu prüfen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und ein starkes Patent zu erhalten.
Autoren:
Dr. Susanne Sonnenhauser
Frau Sonnenhauser arbeitet seit 2005 auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtschutzes und ist als deutsche Patentanwältin und European Patent Attorney zugelassen. Seit 2008 ist sie bei Prüfer & Partner tätig.
Ihre Arbeitsschwerpunkte bilden das Patent- und Markenrecht, hauptsächlich auf den Gebieten Pharma und Life Science.
Frau Sonnenhauser vertritt ihre Mandanten sowohl im Patenterteilungs- als auch im Einspruchsverfahren. Darüber hinaus erstellt sie Gutachten hinsichtlich der Validität und Verletzung von Schutzrechten.
Dr. Andreas Oser, LL.M.
Andreas Oser (Dipl.-Chem. Universität Freiburg; Promotion Max-Planck-Institut für Biochemie München) ist seit 1991 im gewerblichen Rechtsschutz tätig, wurde 1995 als deutscher und europäischer Patentanwalt zugelassen und ist seit 2002 als geschäftsführender Partner bei Prüfer & Partner tätig.
Die Hauptfachgebiete von Herrn Oser sind Chemie, Pharma und Life Science.
Seine Tätigkeit umfasst Patentanmeldungen (Ausarbeitung, Prüfung), Einspruchs- und Beschwerdeverfahren, Patentstreitfälle, Verletzungs- und Rechtsbeständigkeitsgutachten, Freedom-to-Operate-Analysen und Due-Diligence-Prüfungen.
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